5 typische Barrieren in Innovationsprozessen. Nach einer Novelle von T.
Vor einiger Zeit sah ich den alten Film „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm. Geschichte und Bilder haben mich noch tagelang bewegt. In der zugrundeliegenden Novelle von 1888 kommt interessanterweise vieles vor, was man zum Thema „Barrieren im Innovationsprozess“ in Organisationen beobachten kann.
Eine kurze Inhaltsangabe:
Der aus einfachen Verhältnissen stammende Hauke Haien steigt dank seines Ehrgeizes und des Vermögens seiner Frau zum Deichgraf auf. Schon früh widmete er sich der Mathematik, der Geometrie und der Beobachtung der Wellen. Er stellt viele Berechnungen an und baut kleinere Modelle widerstandsfähigerer Deichformen mit flacherem Profil. Design Thinking ist gar nicht so neu ;) So befähigt entsteht ein Plan zum Bau eines neuen Deiches. Mit der Genehmigung des Oberdeichgrafen, aber gegen den erbitterten Widerstand der Bauern, werden die zeitintensiven und anstrengenden Arbeiten für den Bau durchgezogen. Sein seit Jahren von Eifersucht zerfressener Widersache Ole intrigiert fortwährend und bringt die Dorfgemeinschaft gegen Hauke auf. Sie durchstechen bei einer Sturmflut den neuen Deich. Hauke geht mit seiner Familie in den Fluten unter.
Widerstände sind feste Begleiterscheinungen von Innovationsprozessen, immer! Warum sollte man ohne Not an funktionierenden Lösungen etwas ändern?
In den letzten 20 Jahren war ich in unzähligen Innovationsprojekten mit folgenden fünf konkreten Innovations-Barrieren immer wieder konfrontiert.
1. Tief sitzende, veraltete Denk- und Handlungsmuster: Grundüberzeugungen
„Soll der Deich halten, muss etwas Lebendiges hinein, am besten ein Kind aber ein Hund tut es auch“ das ist die feste Überzeugung der Dorfgemeinschaft. Ein besonders krasses Denk – und Handlungsmuster, zumindest aus unserer heutigen Sicht.
Aber wir alle funktionieren nach solchen Mustern, von großen Dogmen bis hin zu kleinen Alltagsroutinen. Sie haben ihr Gutes! Sie reduzieren Komplexität und sorgen für Effizienz.
Aber wollen wir revolutionär innovativ sein, stehen sie uns im Wege!
Zu selten, wenn überhaupt, werden die Grundüberzeugungen der eigenen Organisation, wie das Geschäft zu betreiben ist, herausgefordert. Wann haben Sie zuletzt gar Ihre eigene Branche systematisch kritisch analysiert und sich gefragt, wie man sie revolutionieren könnte, indem man konventionelles Denken überkommt?
2. Unzureichendes Wissen
In unserer Geschichte hat sich Hauke seit seiner Kindheit intensiv mit Mathematik, Geographie und dem Beobachten von Wellen beschäftigt. Aus diesem profunden Wissen entspringt seine Idee zu einem revolutionär neuen Deich.
Innovationen zu erarbeiten ist ein wissensintensiver Prozess! Und hier meine ich nicht nur F&E. Für Organisationen ist ein tiefes, klares und geteiltes Verständnis der fundamentalen Veränderungen in unserer Umgebung unumgänglich. Und wer scannt regelmäßig neue technische Möglichkeiten und erfasst deren Bedeutung für das eigene Geschäft? Wie gut wissen Sie über sich wandelnde Kundenbedürfnisse und deren Einfluss auf Ihr Angebot Bescheid?
In Organisationen gibt es meist unendlich viele Informationen, zu selten werden sie zu echtem Wissen verdichtet, geteilt und genutzt.
3. Mangelnde Ressourcen
Innovative Ideen zu entwickeln kostet in erster Linie Zeit und Gehirnschmalz. Das macht in unserer Geschichte Hauke allein im stillen Kämmerlein.
Innovative Ideen umzusetzen kostet Geld und die Anstrengung Vieler. Die Dorfbewohner müssen auf schriftliche Anweisung des Oberdeichgrafen zusätzlich zu ihrer normalen Arbeit einen neuen Deich bauen. Das stößt auf offene Ablehnung. Die Arbeiten gehen entsprechend nur schleppend voran.
In modernen Organisationen ist das nicht anders. Innovationsarbeit wird von Menschen gemacht und ist immer on-top zur normalen Arbeit. Selten werden in der frühen Phase neue Mitarbeiter eingestellt. Da stößt man schnell an Grenzen. Gerangel um Prioritäten und Kompetenzen sind an der Tagesordnung.
Will man Innovationen zügig vorantreiben muss man sich darüber klar sein, dass man bei gleichem Mitarbeiter-Stamm, andere Projekte und/oder das Tagesgeschäft weniger intensiv beackert.
4. Zu viel Politik
Haukes Widersache Ole intrigiert aus Eifersucht hinter verschlossenen Türen. Er wiegelt die anderen immer wieder auf, bis sie schlussendlich bei Sturmflut den neuen Deich durchstechen. Sie bringen die Innovation damit vorerst zum Scheitern. Der Innovator wird geopfert.
Solche „Seilschaften“ des Verhinderns, bis hin zu offener Sabotage, sind auch heute noch an der Tagesordnung. Es zählt nicht die innovative Sache, es geht vielmehr um persönliche Motive. Oft wird mit der Veränderung eine Gefährdung des eigenen Status befürchtet. Persönliche Errungenschaften gehen vielleicht verloren, die eigene Leistung wird geringgeschätzt oder man findet sich in den neuen Strukturen nicht wieder. Der Streit um innovative Ideen ist dann lediglich die Arena, in der gänzlich andere Konflikte ausgetragen werden.
Die Initiatoren von Innovationen tun gut daran, Innovationsprojekte und ihre Innovatoren zu beschützen.
5. Keine starke „Produkt-Vision“
Hauke hat zwar eine starke Vision: „Der Deich soll 100 und abermals 100 Jahre stehen, trotz der höchsten Fluten. So werdet ihr für Euch und Eure Kinder ein sicheres und fruchtbares Land gewinnen...“! Leider kommt er mit dieser Ankündigung spät- zu spät! Die Dörflinge haben sich bereits gegen ihn und sein Vorhaben formiert.
Menschen wollen wissen warum sie eine außergewöhnliche Anstrengung vollbringen sollen, für welches hehre Ziel sie sich vor den Zug werfen, welchen Nutzen sie persönlich davon haben.
„Wir brauchen x % mehr Wachstum“ in den nächsten 3 Jahren“ ist da vielleicht ein bisschen dünn.
Hat man als Innovator die 5 Dinge – fest sitzende Grundüberzeugungen, Wichtigkeit von relevanten Wissen, sorgfältig geplante Ressourcen, hinderliche Politik und eine mitreißende Vision – im Fokus, steigt die Wahrscheinlichkeit des Gelingens.